Damals, im Mai 1991, dachte ich, das Spannende an diesem Foto sei der Sprung selbst. Vor Kurzem baten mich Freunde, für das Buch „Berlin Wonderland“ meine alten Bilder herauszukramen. Ach so, die Ausstellung zum Buch wird morgen eröffnet, am 5. Juni, in der Galerie „Urban Spree“.
Hier noch ein Link zum Buch.
Hier die gesamte Fotosequenz von damals, bestehend aus 36 Bildern.
Als ich das Sprung-Selfie wiederfand, wirkte es eher banal – jeder könnte es heute nachmachen mit Hilfe einer Gopro-Sportkamera. Die Sensation ist nach einem Vierteljahrhundert dorthin verrutscht, wo ich damals die Kulisse vermutete: in die Brache im Hintergrund. Das Zentrum der heutigen Hauptstadt als Leerstelle, der Reichstag ohne Kuppel, kopflos seit dem Reichstagsbrand von 1933. Der Pariser Platz, über den schon Napoleon einmarschierte, eine Betonwüste. Kaum Touristen, keine Banken, kein Starbucks, keine amerikanische Botschaft. (Und zu meiner Frisur damals will ich jetzt nichts sagen.)
Hier ein etwas ausführlicherer Artikel zum Buch:
Die Stadt selbst schien 1991 im freien Fall durch die Jahrzehnte, in der Schwebe zwischen nicht mehr und noch nicht. Versatzstücke der Kaiserzeit, der wilden Zwanziger, der Nachkriegstrümmer und der DDR-Tristesse, wie von einem bekifften Kulissenbauer zusammengeschustert. „Sah es wirklich so aus?“, fragt der Schriftsteller David Wagner im Vorwort zum neuen Fotobuch: „So leer, so kaputt, so schön? Berlin-Mitte war einmal eine Wunscherfüllungszone.“
Rechts und Links mussten sich erst neu zusammenrütteln. Das Bungee-Bild versinnbildlicht Abenteuer und Anpassung, Absturz und Aufstiegswille, Angst und Lust. Einen Tag nach dem Sprung erschien es in einem Springer-Blatt unter der Überschrift „Berlins tollkühnster Fotograf als ‚Gummi-Ball'“; dann als Postkarte; dann als Werbung für ein Videofestival namens „Berlin Ultra“, dessen Logo eine kleine Bombe mit brennender Lunte war (wer hat weitere Infos zu diesem Festival? Was für Filme wurden gezeigt?).
Das unfertige, kaputte Berlin als Projektionsfläche für Widersprüchliches.
Ein paar Wochen später versuchte ich, das Motiv noch einmal in Farbe einzufangen. Es stellte sich heraus, dass Windrichtung, Kranausleger, Sprungplattform, Absprungrichting sich kaum genau genug kontrollieren lassen, um tatsächlich ein Foto noch einmal zu wiederholen. Hier ein Beispiel mit dem Gropiusbau und dem Zoofenster im Hintergrund. Nur eins funktionierte weiter einwandfrei: die durchsichtige Selfiestange aus Plexiglas.