Erst jetzt komme ich zum Lesen der neuen Buchausgabe des Hansel-Mieth-Preises. Glückwunsch an die Gewinner, an die Jury, an die Gestalter, an die ganze Unternehmung. Auf der Website des HMP gibt es dazu die Details.
Wer aber war Hansel Mieth, die Frau mit dem komischen Männernamen? Diese PBS-Dokumentation erzählt die unglaubliche Odyssee der kleinen Johanna aus Oppelsbohm in Baden-Württemberg, die wenige Jahre später die zweite fest angestellte Fotoreporterin der legendären Zeitschrift „LIFE“ wurde, nach Margaret Bourke-White.
Und das kam so. Man müsste eigentlich eine Graphic Novel dazu machen. Über den Teenager Johanna, dem vom Lehrer eingebimst wird, dass sie als Mädchen minderwertig sei, die mit 15 Jahren gemeinsam mit ihrer Jugendliebe durchbrennt, sich mit dem Jungennamen „Hansel“ tarnt, durch Europa vagabundiert, dann 1930 in die USA emigiert, dort als Baumwollpflückerin arbeitet, dann mit dem Fotografieren beginnt im Umfeld von Streiks und Gewerkschaftstreffen, rasch aufsteigt in die High Society von New York, von „LIFE“, damals dem Goldstandard der Reportagefotografie, fest angestellt wird, sich zu langweilen beginnt, wieder nach Kalifornien zurückgeht, nach dem Angriff von Pearl Harbor die verfassungswidrige Internierung amerikanischer Bürger aufgrund ihrer Herkunft und ihres Aussehens als „Japaner“ in Zwangslagern unter Präsident Franklin Delano Roosevelt, ihren eigenen Heimatort nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs, wobei viele ihrer ehemaligen Ortsnachbarn nur eines bereuen: dass Deutschland nicht gesiegt hat.
Doch Mitgefühl und soziales Engagement sind gefährlich, bald gerät Hansel Mieth in die Mühlen des reaktionären, zutiefst unamerikanischen, verfassungsfeindlichen „House Unamerican Activities Committee“ (HUAC). Hansel Mieth kommt auf die „Black List“ – was einem Berufsverbot gleichkommt, aus parteitaktisch motivierten Gesinnungsgründen, und das im Land der verbrieften Meinungsfreiheit. So eine politische Phase kann schon einmal vorkommen von Zeit zu Zeit, wenn Ressentiments überhandnehmen, und Paranoia und Populismus rationale politische Strategien ersetzen. Hansel Mieth kennt das ja schließlich aus ihrer Heimat. Also arbeitet sie fortan eben wieder mit ihrem Mann Otto auf ihrer Farm in Kalifornien, sie züchten Hühner. Gegen ihre Freunde in der Gewerkschaftsbewegung sagt sie nie aus vor der unseligen Inquisition des HUAC.
Was all das mit #metoo zu tun hat? Nun, Hansel Mieth war immer wieder diversen sexistischen Zumutungen ausgesetzt. Als sie irgendwann in den Vierzigern in New York bei einer „Stag Night“ von einem Fremden begrapscht wurde, schlug sie ihm die schwere Kamera über den Kopf. „Ich habe gerade einen Mann umgebracht“, beichtete sie in der Redaktion. Wieso hast du ihn umgebracht? „Because he pested me!“. Entwarnung und Spoiler Alert: Der Grapscher überlebte laut Überlieferung.
Ich kannte das Werk ihrer Freunde wie Dorothea Lange, Margaret Bourke-White oder Ansel Adams (auch dessen Dokumentation des Internierungslagers „Manzanar“), aber das Werk von Hansel Mieth? War mir neu.
Danke, PBS, für diese Dokumentation auf Vimeo.**
Hier noch ein paar Screenshots, um Appetit zu machen.
** Ein paar Fragen allerdings lässt die Dokumentation offen: Wie kamen die beiden jungen Vagabunden überhaupt an eine Kamera, woher hatte Hansel Mieth das Geld für ihr Auto, als sie von New York nach San Francisco fuhr direkt nach der Ankunft? Wer brachte ihnen das Fotografieren bei, wer die Dunkelkammertechnik?
Wer hat Buch- oder Artikelempfehlungen zum Thema? Oder wie wäre vielleicht ein interaktives Multimediaprojekt im Jahr 20 des HMP? Vielleicht mit einer Kickstarter-Finanzierung?