Können wir Berggänger daraus etwas lernen?
Zehn Skitourengeher geraten in einen Sturm, nur drei überleben. Der tödliche Bergunfall sorgte vor fünf Jahren für Aufsehen, nun beleuchtet eine sehenswerte Dokumentation die Hintergründe.
Im Spiegel habe ich dazu etwas geschrieben unter dem Titel: Reden ist Silber, Schweigen ist Tod.
Am Sonntagmorgen brachen die zehn Skibergsteiger auf der Haute Route zu ihrer Tour auf, begleitet von einem erfahrenen Bergführer. Sie gerieten in einen Sturm, verliefen sich und verbrachten die Nacht in der Kälte. Nur drei von ihnen überlebten. Die rettende Hütte war nur 550 Meter entfernt.
Dieses Bergunglück ereignete sich vor fünf Jahren, in der Nacht vom 29. auf den 30. April 2018. Es geschah nicht etwa in einem entlegenen Teil Patagoniens, sondern im Herzen Europas, in der Schweiz, unweit der Pigne d’Arolla, einem eigentlich einfachen Aussichtsberg auf der Haute Route, einer der bekanntesten und beliebtesten Mehrtages-Skitouren der Welt. Wie also konnte es zu dem Unglück kommen?
Wenige Tage nach der Tragödie stieg ich auf zum Unglücksort, um mir selbst ein Bild zu machen. Ich sah, wo sich der Todeskampf gegen Kälte und Sturm ereignet hatte, ich fand noch etliche Ausrüstungsgegenstände der Verunglückten: einen Pickel, Karabiner, einen Klettergurt, einen angebissenen Kanten Brot.
Direkt vor mir, auf der anderen Seite einer kleinen Senke, stand die rettende Hütte Cabane des Vignettes. Ich fuhr den Weg ab, den die Bergsteiger in der Unglücksnacht vergeblich gesucht hatten. Fünf Minuten später stand ich am Hütteneingang.
Gemeinsam mit meiner Kollegin Samiha Shafy berichteten wir in einer ausführlichen Reportage über den Unfallhergang , wir sprachen mit Überlebenden, Rettern und anderen Bergsteigern, die in der Nacht auf der Hütte geschlafen hatten, ohne zu wissen, welches Drama sich vor der Tür ereignete. Zum fünften Jahrestag bringt nun der Schweizer Filmemacher Frank Senn, ein bestens vernetzter, erfahrener Bergsteiger, eine 90-minütige Dokumentation im Schweizer Fernsehen (SRF), entstanden unter anderem in Zusammenarbeit mit Arte und SPIEGEL TV.
Immer wieder war ich mit Senn seitdem per Mail und Telefon im intensiven Austausch, und konnte seine hartnäckige Wühlarbeit aus der Nähe mitverfolgen. Senns Team ist ein Meisterstück der geduldigen Langzeitrecherche gelungen, mit fast kriminalistischer Liebe zum Detail, basierend auf den GPS-Tracks der Betroffenen, minutengenauen Wetterangaben, Satellitenaufnahmen, gegengeschnitten mit Handyfotos und Filmen von vor Ort, vor allem aber erläutert von denen, die das Drama am eigenen Leib miterlebt haben. Um die Ereignisse nacherlebbar zu machen, wurden einzelne Szenen als Reenactment nachgestellt.
Hier die Dokumentation, freundlicherweise frei ansehbar auf Youtube:
Was sagt uns das? Seit Jahren lässt mich das Unglück nicht los. Immer wieder kaue ich darauf herum, was ich daraus für meine eigenen Bergtouren lernen kann. Klar, die verunfallte Gruppe war mit zehn Leuten sehr groß, es haperte an redundanten GPS-Geräten, auch Biwaksäcke, um sich im Notfall warmzuhalten, fehlten im Gepäck. Doch nach und nach glaube ich: Es mangelte weniger an Technik als an Kommunikation.
Klar, der Bergführer kannte die Strecke gut. Oder vielleicht zu gut, sodass er ihre Gefahren nicht mehr ernst nahm? »Hausbergproblem« sagt man dazu. Hinzu kommt: Gerade bei erfahrenen Bergführern droht der »Halo-Effekt« , also die Zuschreibung einer Art Heiligenschein der Unfehlbarkeit. Eine offene Diskussion der Optionen und Risiken fand bei der Zehnergruppe durch Halo- und Hausbergproblem nicht statt, diese Gruppendynamik entfaltete eine unheilvolle Wucht. Eine gesunde Diskussion, am besten vorab, hätte sicherlich nicht alle Probleme gelöst. Aber Reden ist Silber, Schweigen war Tod.
Doch hier muss ich mir auf die Zunge beißen. Wer bin ich, daheim gemütlich auf dem Sofa zu sitzen und über bergerfahrene Alpinisten den Stab zu brechen?
Dokudramen über derlei Tragödien tanzen über einen schmalen Grat. Auf der einen Seite lockt der stumpfe Voyeurismus, die Tragödie als Unterhaltung.
Wer dagegen versucht, aus einem Unglück hilfreiche Lehren für die Zukunft zu ziehen, driftet leicht in Besserwisserei ab, nach dem Motto »wie dumm«, »selbst schuld«, oder gar: »Bergsteiger sind eh alle lebensmüde!«
Was meinen Sie zu der Doku und den Ereignissen damals? Was können wir daraus lernen für unsere Touren im Sommer? Ich selbst habe mir vorgenommen: Genauer auf Gruppendynamik und meine eigene Motivation achten. Noch einmal etwas das Biwakieren einüben. Mehr Achtsamkeit auf GPS-Tracks legen. Eine interessante Diskussion dazu befindet sich auch im Forum unter meinem Artikel im Spiegel.
Frank Senn hat zum Thema auch ein lesenswertes Interview gegeben: »…seit dem Film gehe ich anders in die Berge. Beispielsweise wähle ich die Gruppen, mit denen ich unterwegs bin, viel gezielter aus«, sagt er darin. Auch über Recherche und Filmarbeit erzählt er Einiges. https://www.persoenlich.com/medien/wie-viel-risiko-nimmt-man-auf-sich
Was nehmen Sie mit aus den diversen Berichten über den Unfall damals? Ich bin gespannt auf Ihre Sicht der Dinge. Und was und ob Sie daraus etwas lernen können, um sicherer in den Bergen unterwegs zu sein.